Oft steckt sie mit ihren Gedanken in
der Vergangenheit fest. Und oft, viel zu oft, eigentlich fast immer, sind es
traurige Gedanken. Gedanken, die man am liebsten wegwischen möchte, aber sie
kommen immer und immer wieder.
Aber diese schönen, guten Erinnerungen,
sie gibt es auch. Auch wenn sie sehr selten, verschwommen wie im Nebel,
auftauchen um gleich wieder zu verschwinden. Doch mit der Zeit hat sie gelernt,
diese schönen Gedanken länger festzuhalten.
Dazu gehören definitiv die
Erinnerungen an ihren Großvater, der für sie ein ganz besonderer Mensch war.
Mit Einfühlungsvermögen, Geduld und Phantasie machte er für sie jede noch so
stupide Alltäglichkeit zu einem Abenteuer, zu einem Wunder, zu etwas ganz
Besonderem.
Es ist schon so lange her und viele
dunkle Löcher liegen zwischen dem Kind sein und dem, was sie heute ist.
In den Ferien war sie sehr oft bei den
Großeltern und sie erinnert sich genau, wie aufgeregt sie immer war, wenn sie
darauf wartete, dass ihr Opa endlich von der Arbeit kam. Denn sie war etwas
ganz Besonderes und deshalb durfte sie auch stets die hoch verantwortungsvolle Aufgabe
übernehmen, seine Arbeitstasche auszupacken.
Neben allerlei Dingen, die sie nicht allzu
sehr interessierten, war da auch seine Brotbüchse und sie wusste, dass darin
immer noch etwas für sie zu finden ist. Wie war sie jedes Mal aufs Neue
gespannt und freute sich riesig, wenn sie das „Hasenbrot“ darin entdeckte.
Manchmal war noch ein Apfelstückchen darin zu finden, manchmal tatsächlich
sogar ein Bonbon. Oft aber war es nur ein Viertelchen Leberwurstbrot. Aber das
machte ihr nichts aus, für sie war es das schönste, leckerste Schnittchen der
Welt.
Zusammen mit ihrem Opa verputzte sie
die Reste der Brotdose, die sie danach eigenständig abwusch, abtrocknete und der
Oma zu Befüllen hinstellte. Ja, nicht jeder durfte an diese Brotdose, sie
schon.
Viel später, da war sie schon etwas
älter, erklärte Opa ihr auch, warum das Hasenbrot als Hasenbrot bezeichnet
wurde. Nachvollziehbar war die Erklärung. Altes, hartes Brot wird noch heute im
ländlichen Raum zum Verfüttern aufgehoben, unter anderem eben auch an
Kaninchen. Eine Leberwurststulle, die den ganzen Tag in einer Dose vor sich hin
dümpelte, war eben nur noch als Viehfutter zu verwerten. Außer jedoch, man
macht etwas ganz Besonderes daraus, dann wird das Hasenbrot in Nullkommanichts zu
einer unbeschreiblichen Köstlichkeit, viel zu schade, um es an Kaninchen zu
verfüttern.
Nun ist sie schon selbst seit Jahren
Oma. Wie doch die Zeit vergeht.
Immer, wenn sie an dieses Erlebnis
denkt, kommt Traurigkeit in ihr hoch. Traurig ist sie, weil sie ihrem Opa, der
mittlerweile verstorben ist, nie sagen konnte, wie sehr seine Art, mit ihr
umzugehen, ihr geholfen hat.
Und noch etwas anderes macht sie
traurig, denn ihr eigener Sohn hatte nicht die Möglichkeit, diese
Großelternerfahrungen machen zu können. Und sie selbst, wie wohl die meisten
Eltern, war leider in ihrem Alltagseinerlei so sehr verfangen, dass sie wohl
viel zu oft vergessen hat, dass ein Kind auch ab und zu Wunder und Abenteuer
benötigt. Eltern hetzen oft nur von einer Pflicht zu nächsten und sie treiben
ihre Kinder an, ihnen es gleich zu tun. Nicht mit böser Absicht, nein. Wahrscheinlich
nur, weil es oft einfach zu viele Pflichten sind, zu viele Baustellen und weil
sie nicht gelernt haben, inne zu halten und den Moment zu genießen.
Sie hat es gelernt, endlich und jetzt
als Oma versucht sie, ein wenig des Zaubers ihres Opas an ihren Enkel weiter zu
geben. Und das Warten auf das Hasenbrot gehört definitiv dazu.
Ja, nun ist es schon seit ein paar
Jahren so, dass ihr Enkel, wenn er seine Großeltern besucht, auch immer freudig erregt auf Opa wartet, bis
er von der Arbeit heim kommt. Auch wenn
in der heutigen Zeit ein Bonbon oder ein Apfelstück oder so eine läppische
Bemme nicht mehr so einen Wert haben wie früher, die vor Aufregung leuchtenden
Kinderaugen sind dieselben geblieben. Denn eine wichtige Lebensweisheit ist:
„Es kommt im Leben nicht darauf an,
was es ist, sondern was man daraus macht!“
Kennt ihr diese Weisheit?, lebt ihr
danach? Nein? Sie kann euch nur raten, es zu tun. Ein wenig Zauber im Leben tut
allen gut.
Nun ist ihr Enkel schon in die Schule
gekommen. Das erste Mal konnte sie ihn von der Schule abholen. Natürlich wurde
der Ranzen ausgiebig untersucht. Er zeigte ihr voller Stolz den ganzen Inhalt,
alles wurde angeschaut, ausprobiert, erörtert und bewundert.
Bis sie zur Brotdose kamen, beim
Öffnen erblickten drei übrig gebliebene Apfelstückchen das Licht der Welt. Sie
wurden aufgeteilt und mit Genuss verspeist.
Und was ihr Blick dann erhaschte,
war ein Zauber ganz besondere Art.
Das kleine Patschehändchen ihres
Enkels streichelte den Arm seines Opas und die Worte des Kleinen berührten ihr
Herz.
Er schaute seinen Opa an und sagte wie
ganz nebenbei:
„Opa, jetzt werde ich dir immer ein
Hasenbrot mitbringen, wenn ich euch besuchen komme.“
2 Kommentare:
Es ist eine so rührende Geschichte und zeigt mir mal wieder, wie sehr auch ich ab und an die kleinen Dinge im Leben vergessen habe und dachte, dass nur das große zählt. Ich danke dir von Herzen für diese Sensibilisierung
Es ist schnell im Alltag vergessen. Schön, wenn wir alle jemanden kennen, der uns wieder dran erinnert 😊
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