Der Boden schwankt unter meinen Füßen,
ich finde keinen Halt. Alles ist so fremd und es fühlt sich irgendwie so
unwirklich an. Starr vor Angst sitze ich da, bewege mich keinen Millimeter.
Aus respektvoller Entfernung heraus beobachte
ich die Anderen. In meinen Augen wuseln sie ziel- und planlos, um nicht zu
sagen sinnlos, hin und her. Sie bemerken mich nicht, rastlos geben sie sich
einem Treiben hin, dessen Sinn ich nicht verstehe.
Der Wunsch dazu zu gehören, wird stärker.
Leider nicht so stark, um wenigstens nur einen kleinen Schritt auf sie
zuzugehen.
Nun werde ich doch entdeckt, denn jemand
kommt aus der Gruppe auf mich zu. Vor mir stehen bleibend fragt er mich völlig
ungezwungen: „Hey, wir wollen weiter ziehen. Willst du mitkommen?“
Ähhhhh, denke ich nur und habe sofort
tausend Fragezeichen in meinem Kopf. Und im selben Augenblick antworte ich schon:
„Ja aber wohin wollt ihr denn?“
Er schaut mich völlig erstaunt an, als
wenn ich von einem anderen Stern komme. „Jaaaaaaaabeeeer … was ist denn das für
ein Wort? Was bedeutet das? Du kommst wohl nicht von hier? Und wieso fragst du
denn, wo wir hin wollen. Ist doch völlig unlogisch so eine Frage, dass weiß man
doch immer erst, wenn man gestartet ist …“
Sein Erstaunen über meine Worte hielt
immer noch an. Davon abgesehen denke ich mir auch so meinen Teil über seine
Worte. Mein Gott, so schwer von Begriff kann man doch gar nicht sein, ich rede
doch nicht marsianisch oder so. Wieder verfange ich mich in meinen Grübeleien
und frage mich wie so oft, warum die Anderen mich scheinbar nie verstehen.
„Na ja, ich mach dann mal ‘nen Abflug!“ ruft er mir mit dem unnachgiebigen
Beweis in den Augen, dass er nicht so recht was mit mir anzufangen weiß, zu.
Bei den anderen angekommen, schwirrt er
von einem zum anderen und immer wieder weht der Wind mir ein leises Kichern zu.
Und meine eigenen Worte schallen mir in den verschiedensten Stimmen wie ein
Echo entgegen.
„Jaaaaaaaabeeeer …“ „Jaaaaaaaabeeeer …“ „Jaaaaaaaabeeeer …“ „Jaaaaaaaabeeeer
…“
Echt jetzt, denke ich, machen die sich gerade
lustig über mich? Es ist zwar kein böses, gehässiges, Kichern, das höre ich schon
heraus. Aber weh tut dieses Gefühl, ausgelacht zu werden, trotzdem.
Nun sitze ich also wieder da und weiß
nicht wohin mit mir. Hilflosigkeit macht sich in mir breit. Und dann sehe ich aus
den Augenwinkeln heraus ihn. Nur einen Flügelschlag entfernt von mir muss er mich
schon eine Weile beobachtet haben, denn als ich zu ihm rüber schaue, lächelt er
mir freundlich entgegen.
„Nimm’s ihnen nicht übel“, spricht er
mich an. „Wir kennen dieses Wort halt wirklich nicht.“
Ein „mhhh“ kommt von mir. Mehr weiß ich
in diesem Moment nicht zu sagen. Irgendetwas stimmt hier nicht, rattert es in
meinem Gehirn, das kann doch wohl alles nicht wahr sein.
„Wie bitte?“ Ich hatte seine Frage nicht
gehört und bat um Wiederholung. Auf seine Frage, warum ich mit den Anderen
nicht mitgezogen bin, sprudelten die Worte nur so aus mir heraus.
„Das geht nicht“, antworte ich voller
Inbrunst.
„Ich muss noch die Beete machen …“
„Und der Rasen muss noch gemäht werden
…“
„Und Mittagessen muss ich noch kochen …“
„Die Waschmaschine ist auch gleich
fertig, da muss ich noch ….“
Immer mehr ist mir eingefallen, was ich
noch alles müssen muss. Die Augen meines Zuhörers werden bei meiner Litanei
immer größer, ich verstumme und schaue ihn auffordernd an.
„Was bedeutet dieses Wort MUSS?“ fragt
er in die Lücke meiner Worte.
Das weiß er nicht? Oh mein Gott, ich
falle gleich vom Glauben ab. Ich weiß nicht, wie ich ihm das erklären soll und
wirke innerlich leicht angesäuert. Kurz
angebunden und schon leicht schnippisch frage ich ihn dann: „ Bei uns ist das
eben so, was ist denn bei euch so anders, häää?“
„Na ja!“ Ich merke, wie er nach Worten
sucht, um mir sein Leben verständlich zu erklären. Ich wette, er denkt gerade
das Selbe über mich, wie ich über ihn und kann mir ein kleines inneres Lächeln
nicht verkneifen.
„Also wir genießen das Leben, was uns
geschenkt wurde. Wir besitzen nichts und müssen, mit deinen Worten gesprochen,
deshalb auch nichts müssen.“
„Wenn die Sonne scheint, wärmen wir uns
an ihren Strahlen und spielen Duft-Rätselraten.“ Meinen fragenden Blick
bemerkend erklärt er:
„Wir versuchen die Düfte in der Luft
herauszuriechen und wer es als erster richtig erraten hat, der hat gewonnen.“
Innerlich rollen meine Augen gerade
Karussell. Wo bin ich hier nur hingeraten, sind meine verzweifelten Gedanken.
Der Begriff ‚Ich verstehe die Welt nicht mehr‘ hat auf einmal eine noch viel höhere Dimension
gefunden.
Ups, ich grüble schon wieder.
„…stolz, dass wir alle unterschiedlich
aussehen und bewundern gegenseitig unsere uns eigenen Merkmale, die uns zu
etwas ganz Besonderem machen.“
Oh, zum Glück habe ich seinen letzten
Satz noch mitbekommen, aber um ehrlich zu sein, so richtig begreifen kann ich
dessen Inhalt nicht. Also wenn meine dicke Nase mich von den anderen
unterscheidet, dann bin ich keinesfalls darauf stolz, ganz im Gegenteil. Und
das jemand anderes meine dicke Nase auch noch als bewundernswürdig erachtet, na
das kann ich ja nun wirklich nicht glauben.
Man, ich schweife schon wieder ab.
Gerade hat er mich gefragt, ob ich es nicht auch einmal versuchen möchte. Wie,
was möchte ich versuchen? Mein Gehirn beantwortet mir meine Frage gleich
selber. Ich soll es also so machen wie sie!
Leise, fast beschämt, antworte ich ihm:
„Ich weiß nicht, wie das geht!“ Worauf er mich traurig, na ja, sagen wir mal
mitleidig, anschaut.
„Erst einmal schließt du deine Augen!“
weist er mich an.
„Und dann versuche die Sonne auf deiner
Haut zu spüren. Spüre, wie sie dich wärmt und umarmt.“
„Beobachte, wie der Wind deine erhitzte
Haut streichelt und versuche, die verschiedenen Sommerdüfte aus der Luft zu
filtern.“
„Und dann, wenn du dich so richtig frei
von allem fühlst, dann breite einfach deine Flügel aus und flieg …“
…
Bin ich etwas eingeschlafen? Eingenickt
auf meiner Liege im Garten? Tatsächlich. Und ich glaube, ich habe sogar geträumt,
kann mich aber nicht mehr daran erinnern. Müde schließe ich noch einmal wohlig
meine Augen und bemerke, wie der Wind über meine durch die Sonne aufgewärmte
Haut streichelt. Es riecht nach Sommer, für einen Moment fühle ich mich so wohl
und entspannt.
Ich öffne meine Augen wieder. Mein noch
verschlafener Blick geht zu den Lavendelbüschen in meinem Garten hinüber. Den
aromatisch-blumigen Duft dieser Lavendelbüsche in der Nase habend beobachte ich
die vielen Schmetterlinge, die von einer Blütenrispe zur nächsten flattern.
Es sieht aus, als wenn dies ziel- und
planlos geschieht. Aber irgendwie ganz tief in meinem Inneren spüre ich, dass
dieses Hin und Her einen Sinn hat, einen tiefen, ganz wichtigen Sinn und ich
beneide sie um ihr Treiben.
Ein „Ja, aber ich muss noch …“ will mich
von der Liege aufjagen, doch ich falle mit einem „was soll’s“ zurück.
Und ich schaue wieder auf die
Schmetterlinge und denke nur, wie schön es wäre, sich so richtig frei zu fühlen
und mal einfach so seine Flügel auszubreiten um los zu fliegen …