Freitag, 8. November 2019

Schwarzes Glas



Panische Angst steigt in mir hoch und scheinbar erfolglos kämpfe ich gegen sie an.

All meine Sinne sind geschärft und in Alarmbereitschaft. Die Angst wird durch den animalischen Geruch, der mir in die Nase steigt und sich seinen Weg erfolgreich bis in meinen Magen sucht, nur noch verstärkt.

Das überaus bedrohliche Schnauben verursacht Gänsehaut am ganzen Körper, jedes meiner Haare ist aufgestellt und wie Fühler sucht jedes Einzelne davon nach einem Ausweg. Doch für ein Weglaufen ist es schon zu spät. Meine Beine wollen oder können sich nicht mehr in Bewegung setzen.

Der warme Atem bläst mir in schnellen Stößen entgegen, kommt immer näher. So nah, dass meine Augen blinzeln müssen. Schnell schließe ich sie, als ob ich damit die Gefahr bannen könnte.
Die Sekunden werden immer langsamer, wie, wenn sie sich durch Schlamm kämpfen. Mein Herz dagegen rast so schnell, dass es in meinen Ohren zu rauschen beginnt - bis … ja, bis die Welt auf einmal stehen zu bleiben scheint.

Das Schnauben wird ruhiger, und obwohl so nah an meinem Gesicht, komischerweise leiser. Der Atem, vorher wie suchend immer näher kommend, bleibt vor meinem Gesicht stehen und nun scheint es tatsächlich so, als streichele er meine Wangen.

Mutig, gepaart mit etwas Neugier auf das, was nun passieren wird, öffne ich einen Spalt weit mein Auge und entdecke etwas, was ich zu vor noch nie gesehen habe. Ich blicke in ein schwarzes, tiefes Dunkel hinein. Zuerst erkenne ich nur kleine weiße, wunderschöne Sterne. Das Tageslicht scheint sich genau wie ich in dem glasigen Dunkel verfangen zu haben.

Paradox ist, dass mir diese tiefe Finsternis, in die ich blicke, ein Gefühl von riesiger Weite vermittelt. Und dann entdecke ich mich im Spiegelbild. Ich schaue, in einer schwarzen Glaskugel gefangen, auf mich selbst und spüre, dass ich keine Angst zu haben brauche. In dieser Kugel scheine ich mich geborgen und sicher zu fühlen, aufgehoben und beschützt.

Noch nie zu vor hat wahrscheinlich eine Glaskugel so viel wahrgesagt über mich wie in diesem Moment jene Schwarze. Ich sehe, wie man Angst überwinden kann. Ich sehe, wie ich für einen Augenblick das Leben in mir und um mich herum spüre. Ich vertraue und gleichzeitig verstehe ich, dass Schwarz nicht immer düster ist und Dunkelheit nicht immer Leere bedeutet. Und überhaupt, und vor allem … ICH SEHE MICH.

Wohlige Wärme strömt durch meinen Körper bei dem Anblick meiner Selbst, so aufgehoben in diesem schwarzen Glas.
Ach ja, falls es jemand wissen möchte, meine Urlaubsbekanntschaft heißt Max. Von diesem Moment an habe ich ihn jeden Tag besucht, meine Hand an seinen Hals gelegt und ihm dabei tief in die Augen geschaut.




wieder mal ein Bierdeckel ...