Freitag, 1. März 2019

Mein Dom ...


Tritt ein in den Dom, durch das herrliche Portal ...

Tritt ein in den Dom.
Tritt ein in den Dom, alle verrückten Tage einmal.
Tritt ein in den Dom.
Tritt ein in deinen staubigen Schuhn.
Tritt ein in den Dom.
Ohoh - tritt ein ... ein paar Minuten zu ruhn.
Tritt ein in den Dom.
Tritt ein in den Dom, kleiner Mensch tritt ein!
Hier umfängt dich die Stille, jede Pupille wird weiter.
Riesig wird jede Pupille
und erstrahlt in den Farben der Fenster.

Weiter wird jede Brust.

Hier atmet man Größe.
Größe atmet man hier.
Den Dom haben Menschen errichtet,
den Dom haben Menschen errichtet.

Tritt ein in den Dom, den Schritten das Schreiten zu lehren.

Tritt ein in den Dom.
Tritt ein in den Dom, die Größe des Menschen zu ehren.
Tritt ein in den Dom.
Tritt ein und schüttle ab die Hastigkeiten.
Tritt ein in den Dom.

Ohoh, tritt ein ... zähl in Jahrhunderten die Zeiten.

Tritt ein in den Dom.
Tritt ein in den Dom, kleiner Mensch tritt ein.
Tritt ein! Tritt ein in den Dom!

Tritt ein in den Dom durch das herrliche Portal ...


Wenn ich Glück habe, dann kennst du dieses Lied der DDR-Band „Electra“. Genauso gut kann es aber auch sein, dass dir dieses Lied völlig unbekannt ist.
Der Dom?!
Ein gewaltiges, mächtiges Wort  -  aber auch eine Metapher, eine Symbolik … und für jeden von uns mit einer anderen Bedeutung verbunden.
Sicher, in erster Linie denken die meisten an ein Gebäude, ein kirchliches Gebäude – und Punkt. Aber ist es das? Ist es das für alle?
Setzt man sich nämlich mit den Gefühlen, die dieses Wort in jedem Einzelnen von uns auslösen, auseinander, dann entdeckt man auf einmal, dieses Wort bedeutet sooooo Vieles mehr …
Auf einmal kann der Dom zu einer schlichten Badewanne werden, in der man einfach nur zur Ruhe kommen will. Für andere wird der Dom zum Arbeitsamt, welches voller Angst und Unterwürfigkeit betreten werden muss.
Wiederum für andere wird der Dom vielleicht zur Gartenlaube, in der man in völliger Abgeschiedenheit seinen Gedanken nachsinnen kann, um wieder zu sich selbst zu finden.
Ein Buch kann auf einmal zum Dom werden oder ein verschwiegener stiller Ort am, von anderen längst vergessenen, Angelteich. Auch zu einer illegalen Müllhalde kann er werden, wo  Menschen ihren Müll ablegen, ohne dafür jegliche Verantwortung zu übernehmen.
Der Dom kann zu einem engen Freund werden, zu einer Pilgerreise, zu einem Foto von einem lieben, längst schon verstorbenen, Menschen.
Heute möchte ich dich einladen, mit mir zusammen das „herrliche Portal“ zu durchschreiten um einzutreten in meinen neu entdeckten „Dom“.
Magst du mit mir auf die Reise gehen? Dann lass dich an die Hand nehmen und komme mit.

...

Du läufst am Bahndamm entlang und deine Schritte hallen einsam über die Pflastersteine. Über die Hinterhöfe hat sich still die Abenddämmerung wie ein schwerer Nebel gelegt. Dein Weg führt Richtung Altstadt. Und dort, wo sonst tagsüber die betriebsame Hektik des Alltags herrscht, ist friedliche Ruhe eingekehrt.
Vereinzelt ist ein Schaufenster kalt und neonklar erleuchtet und preist seinen Inhalt an. Die Geschäfte sind schon geschlossen und so fällt es dir sehr leicht, loszulassen von diesem ständigen  Haben-Müssen.
Dein Blick streift weiter und bleibt hängen an viel kleineren Fenstern, die zwar nicht so strahlend hell erleuchtet sind, dafür aber mit sanften, kleinen, warmen Lichtern auf etwas Anderes, etwas Unbekanntes, etwas Geheimnisvolles hinweisen. Deine Neugierde ist geweckt.
Was deine Augen durch die Fenster erhaschen können, ist nicht viel, doch genug, um zu wissen, dass da drinnen in den Räumen ein Abenteuer auf dich wartet. Etwas, was nicht der Normalität entspricht. Schon in diesem Augenblick wird dir bewusst, wie sehr du dich danach sehnst, nach diesem „nicht der Normalität zu entsprechen“, denn von dem ganzen „Normalem“ was dich umgibt, hast du eindeutig schon genug, weil es dich ständig einzwängt.
Eine schwere verschlossene Holztür fordert dich auf, sie zu öffnen um endlich einzutreten.



mein Foto

Als erster Eindruck empfängt dich der Geruch. Nicht modrig, alt – aber auch nicht nach klinischer Reinheit riecht es. Dieser Geruch ist dir fremd. Ein Hauch von Holz, Rauch und Feuer steigt dir in die Nase. Und es riecht nach Farbe, nicht nach steriler, langweiliger Anstreichfarbe, nein, es ist ein anderer Geruch. So, als würde man Farben riechen können, ohne sie zu sehen.
Mir geht es manchmal so ähnlich, wenn ich frisch aufgebrühten Kaffee rieche. Plötzlich sehe ich die mokka-braune Farbe vor meinem geistigen Auge. Aber nicht nur das, auch die dazu gehörigen Gefühle durchströmen mich in so einem Moment. Dieses Gefühl von „endlich Feierabend“, dieses Gefühl von „gemütlichem Beisammensein“, dieses Gefühl von „morgendlicher Stille“.
Geht es dir auch manchmal so?
Also du riechst diese Farben, du riechst das Bunt, welches sich noch vermischt mit sanften, kaum spürbaren, fruchtig-orientalischen Düften.
Alles in Allem sind es fremde Gerüche, genauso wie die Klänge, die deine Ohren umschmeicheln. Angenehme Klänge. Keine Musik, die im Radio den ganzen Tag hoch und runter leiert. Sie werden auch nicht unterbrochen durch Werbung, die aggressiv dein Gehirn martert. Klänge, die deinen Körper innerlich hin und her wiegen, so wie es passiert, wenn dich zwei liebende Arme umfassen.
Deine Augen allerdings haben das Gefühl, vor lauter Eindrücken erst einmal überfordert zu sein. Sie wissen überhaupt nicht, wo sie zuerst hinschauen sollen. Ein entspanntes Verweilen kommt vorerst nicht zustande.
Vor lauter optischen Inputs wünschten sich deine Augen am liebsten zu fünft oder sechst zu sein. Nun ja, das ist auf die Schnelle nicht zu bewerkstelligen, aber mit etwas Zeit gewöhnen sich deine Augen bestimmt an das scheinbar gewollte Chaos der Eindrücke. Genau die Zeit, die deine Augen benötigen, wenn sie sich an die Dunkelheit gewöhnen müssen.
Und nach einer Weile stellst du fest, kein ungewolltes Chaos ist es, was dir entgegen springt. Eher eine Art von gewollter Unordnung. Viele kleine Dinge, die wie unachtsam abgelegt wirken, doch trotz allem sofort erkennen lassen, welche Bedeutung sie haben oder einmal hatten.
Dir fallen die Augen auf. Nicht die Augen der Künstlerin, nein. Es sind die vielen Augen, die dich aus den Bildern heraus beobachten.
Aber bleiben wir doch vorerst bei den Augen der Künstlerin. Denn diese halten dich mit ihrer Tiefe gefangen. Sie erzählen von Dingen, über die der Mund nicht sprechen mag. Sie erzählen von Dingen, die einmal großen Schmerz verursacht haben, von Tränen erzählen sie, die fließen, auch wenn sie niemand sieht.
Von einer enormen Kraft berichten sie dir, die nötig wurde, um über die vielen Steine, Klippen und Schluchten zu springen, bis die Seele dort angekommen ist, wo sie hingehört.
Für die Augen, die dich aus den Bildern heraus beobachten musst du dir Zeit nehmen. Betrachtest du sie eine Weile und versinkst in ihnen, dann kannst du dich im Irrgarten deiner Gefühle schnell verlaufen. Diese Blicke, die auf dir ruhen, sie stellen dir so viele Fragen und gleichzeitig stellen sie so viel in Frage. Sie geben dir Rätsel auf über dich selbst und wenn du lange genug in ihnen ruhst, geben sie dir vielleicht auch ein paar Antworten.
Im hinteren Raum, eine ehemalige Backstube, werden heute Geschichten aus 1001-Nacht vorgelesen. Die Stimme der Vorleserin hat einen leichten Dialekt, aber das stört dich nicht. Die Erzählerin wirkt dadurch irgendwie authentischer und hilft dir, dich nicht allzu fremd zu fühlen.
Du hörst ihr zu und vertiefst dich in fremde Sitten und Bräuche, in alte Geschichten und wirst zurück in deine Kindheit versetzt.
Manche Textpassagen lassen erkennen, wie sehr die Erzählerin gerade diesen einen Satz, diese eine Zeile liebt und du lässt dich anstecken von der Begeisterung, von dem Geheimnisvollen dieser Geschichte.
In der Pause haben sich deine Augen schon an das stimmungsvolle Schummerlicht gewöhnt und nun gehen deine Blicke nochmals auf Entdeckungsreise. Ein gemaltes männliches Gesicht, versteckt hinter einem drapierten Tuch lässt dich neugierig werden. Oder eine Muschel, die wie verloren auf dem Tisch liegt. Du bewunderst die geflochtene Wäscheleine, die jetzt wie ein schweres Tau an der Wand hängt …
Jedes einzelne Detail kommt jetzt klar und deutlich bei dir an und lässt dich in jedem einzelnen Moment gedankenverloren innehalten.
Als das vorgelesene Märchen zum Ende kommt und die Gäste sich aufs Heimgehen vorbereiten, hast du das Gefühl, dass alle ein wenig langsamer, gelassener geworden sind und auch bei dir hat sich diese Gelassenheit eingestellt.
Deine Schritte auf dem Heimweg hallen wieder einsam über die Pflastersteine. Aber sie sind nicht einsam, jetzt werden sie begleitet von einem warmen Wohlgefühl, einer leichten Beschwingtheit von dem Wissen, dass es doch wirklich auch schöne Dinge im Leben gibt …


Foto von Sandro Schneider


...


Verstehst du jetzt, wie gern ich durch das herrliche Portal schreite? Kannst du nachvollziehen, dass ich meinen Dom gefunden habe?

Und dein Dom? Hast du ihn schon gefunden oder bist du noch auf der Suche?

wieder mal ein Bierdeckel ...