Samstag, 1. September 2018

Ein Moment voller Stille




Unruhig ist es, laut, bunt … ein Durcheinander voll von Geräuschen, Gerüchen und Farben.
Musik schallt über den Hof, Stimmen überschlagen sich, kommen aus allen Richtungen gleichzeitig, kämpfen darum, die Musik zu übertönen. Ein junges Mädchen, nicht Kind aber auch noch nicht Frau, fühlt sich scheinbar unbeobachtet im Trubel der Feier und tanzt verträumt in einem Hinterraum, als wenn nur für sie die Musik zu hören ist. Vielleicht findet sie sich gerade in diesem Moment endlich einmal vollkommen. Vielleicht denkt sie aber auch an einen Jungen aus ihrer Klasse. Wir werden es nie erfahren.
Der Geschenketisch steht jetzt unbeachtet da und ist voll von Zuckertüten, viel zu vielen Süßigkeiten und natürlich voll von Gaben, die vorher mit ungeduldiger Spannung ausgepackt wurden. Überflutet von den Eindrücken hat er sich aber schnell für die ihm wichtigsten Geschenke entschieden. Ein Taschenmesser wird auserkoren, voller Stolz verschwindet das Messer in der Hosentasche und noch eine Armbanduhr, diese darf jetzt ebenfalls seinen großen Tag begleiten.
Die Uroma des Jungen, sie ist blind und auch das gehen fällt ihr schon schwer, sitzt an der schön gedeckten Kaffeetafel. Anfangs kamen alle zu ihr, begrüßten sie, umarmten sie und erzählten ihr das Neueste vom Neusten, halfen ihr beim Essen und stellten ihr die Kaffeetasse so hin, dass sie sie auch ganz alleine wiederfinden konnte. Viel später, im Laufe der Feier, sitzt sie wie vergessen ganz alleine da. Ihr Blick geht ins Leere, sicherlich denkt sie an die längst vergangenen Zeiten, als sie selbst noch mitten drin war im Trubel und noch nicht abseits vom Geschehen saß. Aber ihr Lächeln lässt erahnen, dass sie die Erinnerungen an ihre eigenen alten Geschichten genießt.
Überall haben sich nun Grüppchen gebildet. Nur die Kaffeetafel, an der vorher noch alle zusammen die süßen Leckereien durchgekostet hatten, liegt nun wie ein verwüstetes  Kuchenschlachtfeld  verlassen brach. Der Wind weht vereinzelt eine übrige Serviette vom Tisch oder kippt einen leeren Plastikbecher um. Dieser Blick erinnert irgendwie automatisch an wehend fliehende Grasballen eines Westerns.
Die Stimmen schwirren mit dem Wind, in der Küche klappert das Geschirr, ein paar Frauen wuseln sich schnatternd durch Kuchenreste, Schmutzgeschirr und den noch zu schnippelnden Salaten. Es scheppert, nun ja, ein Teller weniger.
Ein Baby wird geschleppt, jeder will mal dran sein. Aber das Baby hat eigentlich ein ganz anderes Ziel, es will zum Kieselsteinweg krabbeln. Immer wieder wird es dort weggeholt, bis auch das Baby in der Wolke der Gespräche vergessen wird oder schon jeder ihm eine kleine Knuddeleinheit abgeluchst hat. Jetzt ist seine Chance, behäbig und langsam bahnt es sich im Krabbeltempo den Weg zum Ziel. Hände, Windelhöschen und rosa Kleidchen nehmen allmählich die einheitliche Farbe Grau an. Und dann, der Weg war so beschwerlich und weit, landet der erste Kieselstein genüsslich im Mund. Noch hat es keiner entdeckt und somit suchen die kleinen Händchen im Schmutz schon nach dem nächsten Steinchen.
Der Rauchertisch … abseits und doch mittendrin, so, dass Gesprächsfetzen aus allen Richtungen herüber wehen. Die Kommunikation von diesem Tisch zu anderen funktioniert scheinbar gut, auch wenn einige Meter Entfernung dazwischen liegen. Dann redet man halt lauter. Ein Wettkampf entsteht an den Tischen, jeder will sich Gehör verschaffen und manchmal überkommt einem das Gefühl, dass die Lacher, die die Zwischenräume der vielen Worte füllen, zu übertrieben laut ausfallen.
Der große Grill wird angeschmissen, beißender Rauch wabert über die Gäste und, passender kann es nicht sein, auf einmal tritt ein Zauberer durch den Rauch des Grills in die Menge. Ein junger Zauberer noch, aber er versteht das Handwerk der Magie schon gut. Die Kinder setzen sich aufgeregt und ungeduldig in die erste Reihe. Interessierte Erwachsene gesellen sich dazu. Einige, denen in diesem Augenblick andere Ablenkungen wichtiger sind, müssen noch dazu gerufen werden. Alle lassen sich von den Künsten des jungen Mannes verzaubern. Alle?, leider doch nicht. Zwischenrufe, wo der Zauberer wohl ja doch Kugel, Ball oder Karte versteckt hat, lassen erkennen, wie schade es ist, dass es Erwachsene gibt, die nicht mehr Kind sein können, sein wollen. Doch die, die sich darauf einlassen, werden verzaubert von der Magie, die sie umgibt.
Hinter der Hecke, auf der Wiese vor dem Feld, sind die Aktivler oder die, die nicht so gerne über DIES und DAS oder DIE und DEN reden, zu entdecken. Zwei kleine Tore und ein Fußball und schon haben sie sich gefunden. Ein hektisches Rennen nach dem Ball beginnt, begleitet von allerhand Zurufen und Buhrufen. Die Schmerzen in Knie, Rücken und Co sind wie von Zauberhand weggeblasen. Die Kleinen, sie fühlen sich auf einmal ganz groß und die Großen, sie fühlen sich endlich mal wieder klein.
Irgendwie in Mitten des Geschehens schweift der Blick des Betrachters zu einer Bank. Die Bank, sie steht unter einem riesigem Obstbaum, dessen untersten Äste mit leuchtend weißen Luftballons behangen sind.
Erst geht der Blick weiter durch die feiernden Gäste, flieht dann aber wie von irgendetwas Unaussprechlichem gefesselt wieder zurück zu dieser Bank. Zwei Menschen sitzen dort. Der kleine, nun schon große, Schuljunge sitzt eingekuschelt, tief versunken in den Armen seiner Mama. Sie hält ein Buch in der Hand, er lauscht ihren Worten. Alle Anspannungen des Tages fallen von ihm ab. Dem Betrachter wird warm ums Herz. Es scheint, als bliebe gerade die Zeit stehen. Das Durcheinander um die Bank herum wird zeitlupenartig langsamer, stiller, verschwommener, bis nichts mehr wahrzunehmen ist. Als wenn einer der weißen Luftballons am Baum immer größer und größer wird und die beiden in einen weißlich schimmernden Kreis umhüllt. Wenn die Beiden jetzt in der weißen Blase aufstiegen, es würde nicht mal verwundern. Man kann ihre Ruhe und Entspanntheit körperlich spüren. So oder so ähnlich würde es aussehen, wenn das Wort Glück bildlich beschrieben werden müsste.
Diese Beiden müssen sich nicht suchen, müssen sich nicht erst finden … diese Beiden sind eine Einheit und in diesem Augenblick scheinen sie es zu spüren und zu genießen. Sie wirkt, als möchte sie in diesem Moment immer verweilen, denn sie ist die Einzigste von den Zweien, die immer und immer wieder über das Morgen und Übermorgen nachdenken muss. Der Kleine trägt noch das Glück des Kindseins in sich, er denkt noch nicht so viel über das Morgen und Übermorgen nach. Doch schon bald wird auch er es tun und man kann nur hoffen, dass er diesen schönen Moment in seinen Erinnerungen bewahren kann.


Ich danke dir, Leben, für diesen Moment!


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wieder mal ein Bierdeckel ...