Samstag, 8. September 2018

Glasperlen





Habt ihr schon mal eine Gurke geschält?

„Okay“ denkt ihr, „jetzt ist sie total verrückt geworden! Wie kommt sie denn von Glasperlen auf eine Gurke?“

Ja, ich bin verrückt geworden. Oder besser gesagt, ich wurde verrückt. Herausgerissen aus meinem Hamsterrad, mein geplanter Lebenspfad wie abgeschnitten, zugebaut mit Steinen, die einem in den Weg gelegt werden und fand mich plötzlich an einer ganz anderen Stelle wieder.

Bin ich damit klar gekommen? Nein. War es gut, verrückt worden zu sein? Also ich gebe es ja ungern zu, aber jetzt im Nachhinein betrachtet, ja.

Oh man, ich schweife ab, ich wollte doch etwas ganz anderes erzählen. Also noch einmal.

Habt ihr schon mal eine Gurke geschält?

Ich meine nicht so ein schrumpeliges, biegsames grünes Etwas aus dem Supermarkt. Nein, ich meine eine Gurke, eine frisch geerntete Gurke, noch voller Saft und Kraft.

In Anbetracht meiner vielen schon vergangenen Lebensjahre habe ich wohl schon öfters eine Gurke geschält, aber noch nie habe ich es bewusst und aufmerksam getan. Wie ich so vieles in meinem Leben wohl noch nie bewusst und aufmerksam getan habe. Immer huscht man weiter, schnell hier machen, schnell das noch holen und wenn ich grad schon mal dabei bin, kann ich ja auch schnell noch das erledigen …

Ihr kennt es alle, dieses furchtbare NOCH-SCHNELL …

Den Spieß umdrehen und sich bewusst dafür entscheiden, etwas ganz langsam, achtsam, zu machen … das muss man erst lernen, das hat uns keiner beigebracht. Und es wird uns auch keiner beibringen, außer wir bringen es uns selbst bei.

Ach ja … Die Gurke! War ich doch glatt schon wieder weg vom Thema, wahrscheinlich wollte ich euch eben ganz schnell noch was anderes erzählen 

So, ich erntete also schnell im Garten Tomaten, Paprika und Gurken um sie ganz schnell noch zu Salaten zu verarbeiten. In der Küche, alles lag in den schönsten Naturfarben die man sich vorstellen kann, vor mir ausgebreitet und dann tat ich es. Ich entschied mich, meine ganze ungeteilte Aufmerksamkeit dieser einen Gurke zu schenken.

Als erstes fiel mir auf, wie kühl sie sich doch anfassen ließ. Bei gefühlten 40 Grad im Schatten hätte ich gemeint, sie würde sich, aufgeheizt durch die anhaltende Dürre in diesem Sommer, warm anfühlen. Weit gefehlt. Wie gesagt, sie war angenehm kühl und am liebsten hätte ich sie mir an meine Stirn gehalten oder an den Hals gelegt, dort, wo der Pulsschlag zu spüren ist.

Ich nahm also meinen himmelblauen Lieblingssparschäler in die Hand und begann, sanft den ersten Strich durch die Gurkenschale zu ziehen. Es folgten der zweite und der dritte Strich. Nicht einfach so, nein, ich verzierte meine Gurke mit einem Muster und schon bald sah sie aus wie ein Zebra, nur nicht schwarz-weiß gestreift sondern dunkelgrün-lindgrün gestreift. Eine wunderschöne Farbkombination übrigens, kann ich euch nur empfehlen, es kleidungstechnisch mal auszuprobieren.

Na ja, jedenfalls betrachtete ich mein Werk eine Weile still voller Bewunderung, als ich bemerkte, wie sich klitzekleine, recht unscheinbare, Bläschen auf den frisch geschälten Streifen bildeten. Jedes einzelne Bläschen für sich wurde größer und größer. Wasserperlen entstanden und es wirkte, als reihten sich auf der Gurke Glasperlen eine nach der anderen zu einer Kette auf.

Durch mein Fenster drangen Licht und Sonnenstrahlen und das wiederum ließ die aufgereihten Perlen in den sanftesten Farben schimmern. Der lindgrüne Hintergrund wirkte wie lupenartig vergrößert und man konnte tatsächlich die Struktur des Gurkenfleisches erkennen. Das Gurkenfleisch war nicht nur lindgrün, wie sich jetzt herausstellte. Ich konnte in diesem Moment einfach nicht glauben, wie viele verschiedene Lindgrün-Töne es tatsächlich gab. Malen müsste man können, dachte ich in diesem Augenblick so bei mir.

Die Glasperlen wuchsen immer noch und wurden größer, sie verbrüderten (oder verschwesterten?, ich hab keine Ahnung) sich, wurden zu einem großen Ganzen, bis sie ihre Form veränderten und zu einem kleinen Rinnsal wurden, der von meiner Hand  den Ellenbogen entlang tröpfchenweise floss und auf meinem Küchentisch eine kleine Pfütze entstehen ließ.

Der danach entstandene Gurkensalat, verfeinert mit Dill aus dem Garten, hat übrigens echt gut geschmeckt und um mal bei der Achtsamkeit zu bleiben, so eine frische Gurke schnurpst beim Verspeisen angenehm vor sich hin.  Aber das ist wieder ein ganz anderes Erlebnis …

Und jetzt, nach dieser kleinen Geschichte, frage ich euch noch einmal.

 Habt ihr schon mal eine Gurke geschält? Und überlegt gut, bevor ihr voreilig mit JA antwortet … 

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wieder mal ein Bierdeckel ...